Presseschau vom 05.01.2022

Wir begrüßen Sie herzlich zur ersten Presseschau des neuen Jahres. Überragendes Thema in der Berichterstattung über die Feiertage und den Jahreswechsel ist die Abschaltung der deutschen KKW in Brokdorf, Grohnde und Gundremmingen, der sich eine Vielzahl von Medien widmet, von denen wir hier einige mit unterschiedlichen Perspektiven ausgewählt haben. Ein weiterer Schwerpunkt ist die politische Diskussion zu einer möglichen Renaissance der Kernkraft, zu der sich Politiker aus dem neuen Bundeskabinett in deutschen Publikationen geäußert haben. Die aktuellsten Beiträge beschäftigen sich mit der erwarteten Entscheidung der EU-Kommission, Kernkraft zusammen mit Erdgas als „grüne“ Energiequelle einzustufen und den Reaktionen auf diese Meldung. Wir wünschen Ihnen heute und für 2022 gewinnbringende Lektüre.

Das Kernkraftwerk Brokdorf ist am 31.12. vom Netz gegangen. Die SHZ widmet sich dem Thema, dass in zahlreichen Medien Berücksichtigung fand, aus einem anderen Blickwinkel: Was bedeutet der Rückbau der Anlage für Mitarbeiter? Wie fühlen sich beispielsweise Auszubildende, die sich gerade am Start ihrer berufliche Laufbahn befinden? Aus Sicht von Mika Schröder (18) aus Brunsbüttel, einem Auszubildenden im zweiten Lehrjahr als Elektroniker für Automatisierungstechnik, bleibe die Arbeit im Kraftwerk laut des Beitrags spannend. Daran ändere auch der Rückbau nichts. Als er seine Ausbildung in 2020 begann, sei der Abschalttermin bereits bekannt gewesen. Dies habe seine Entscheidung für den Arbeitsplatz nicht beeinflusst, sagt Schröder dem Blatt. Er habe sich bewusst für den Berufsstart bei Kraftwerksbetreiber Preußen Elektra in Brokdorf entschieden: „Ich hatte verschiedene Unternehmen zur Auswahl und habe mich hierfür entschieden, weil ich hier die beste Ausbildung kriegen kann.“

SHZ (Bezahlinhalt)

Auch das ZEIT Magazin widmet einem Mitarbeiter des KKW Brokdorf, der sein gesamtes Berufsleben in dem Werk verbracht hat, ein Feature. 36 Jahre habe Jörg Wamser dort gearbeitet, der Beitrag lässt den Techniker ausführlich zu Wort kommen und von seinen Erfahrungen und seiner jetzigen Stimmung berichten:

ZEIT ONLINE (Bezahlinhalt)

Der Protest gegen das weltweit zuverlässigste KKW Brokdorf ist ein wichtiger Teil von dessen Geschichte, und der Anwohner Karsten Hinrichsen das bekannteste Gesicht dieser Bewegung. Ob es ein Sieg sei, wenn nun die Ära Brokdorf ende, wurde Hinrichsen vom Hamburger Abendblatt gefragt: „Nein“, sagt Hinrichsen demnach, zum einen klinge das Wort Sieg viel zu militärisch, zum anderen habe es für einen Sieg aus einer Sicht zu lange gedauert. „Genugtuung und Freude“ sei es, was er empfinde. Der Widerstand gegen den Reaktor, der sein Leben geprägt hat, werde ihm nicht fehlen. „Der Protest hat oft in mein Privatleben reingefunkt“, räumt Hinrichsen ein

ABENDBLATT

Zu Silvester wurde auch der letzte Block im Kernkraftwerk Gundremmingen im Landkreis Günzburg abgeschaltet. Mit einem Videobeitrag blickt BR24 zurück ins Jahr 1965, als dort zum ersten Mal Strom erzeugt wurde:

BR

Die taz beschäftigt sich mit der Abschaltung des KKW Grohnde, das ebenfalls in der Silvesternacht endgültig abgeschaltet wurde. Während die Gegner die Abschaltung feiern, sei im Kraftwerk niemandem zum Feiern zumute, sagt KKW-Leiter Michael Bongartz dem Blatt: „Für uns Kraftwerker ist das ein trauriger Moment, denn die Anlage ist in einem sehr guten Zustand. Wir haben unseren Auftrag, für eine sichere und verlässliche Stromversorgung zu sorgen, mit großer Leidenschaft erfüllt.“ Diese Aufgabe müssten nun andere übernehmen. „In den vergangenen fast 37 Jahren haben wir in Grohnde mehr Strom erzeugt als jedes andere Kraftwerk auf der Welt“, fügt Bongartz hinzu. Seit der ersten Netzsynchronisation am 5. September 1984 sei der Reaktor insgesamt „acht Mal Weltmeister“ in der Jahresstromerzeugung gewesen und habe dabei „zwei Mal einen Weltrekord“ aufgestellt. Das Kraftwerk habe eine durchschnittliche Verfügbarkeit von gut 91 Prozent aufgewiesen, dies sei ein Spitzenwert im internationalen Vergleich. Ein weiterer Rekord sei im Februar 2020 mit der Erzeugung der 400-milliardsten Kilowattstunde hinzugekommen:

TAZ

Mit Gundremmingen C, Brokdorf und Grohnde ging zum Jahrswechsel eine Kapazität von rund 4000 Megawatt vom Netz. Strom, der anders als Sonnen- oder Windenergie wetterunabhängig verfügbar war und im Vergleich zu Kohle und Gas deutlich weniger CO2 produziert, wie zuletzt Befürworter der Atomkraft immer wieder betont hatten. Er würde erwägen, den Atomausstieg infrage zu stellen, weil Deutschland noch nicht über ausreichend erneuerbaren Strom verfüge, sagte zum Beispiel VW-Chef Herbert Diess. Ähnlich äußerte sich Jürgen Hambrecht, Ex-Vorstandsvorsitzender des Chemiekonzerns BASF, der die Politik aufforderte, die Laufzeiten der bestehenden Kraftwerke zu verlängern. Die WAZ sammelt diese und weitere Stimmen aus Wirtschaft und Politik zur Abschaltung der drei KKW:

WAZ

Die EU-Kommission will die Energiegewinnung aus Erdgas- und Atomanlagen als klimafreundlich einstufen. Laut einem Verordnungsentwurf der Brüsseler Behörde, welcher der Nachrichtenagentur AFP laut BR vorliegt, sollen bis 2045 erteilte Genehmigungen für neue Kernkraftwerke unter die sogenannte Taxonomieverordnung fallen und entsprechend gefördert werden können. Für neue Gasinfrastruktur soll dies demnach unter bestimmten Voraussetzungen bis 2030 gelten. Die Taxonomie ist eine Art Klassifizierung nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten und komme einer Einstufung als förderwürdig und einer Empfehlung an Investoren gleich. Den entsprechenden Rechtsakt hatte die EU-Kommission bereits im April vorgestellt. Die heikle Frage der Bewertung von Gas- und Atomenergie ließ die Behörde damals jedoch aus. Vor allem Frankreich dränge mit Nachdruck auf eine Einstufung der Kernkraft als nachhaltig. Auch Polen und weitere östliche Länder drängen die EU-Kommission, Atomstrom als klimafreundlich anzuerkennen. Entschieden dagegen war mit Deutschland, Österreich und Luxemburg bislang nur eine Minderheit der EU-Staaten, so der BR:

BR

Dass die EU-Kommission will Kernkraft als grüne Energiequelle einstufen, stößt u.a. auch in Österreich auf entschiedenen Widerstand, so die Tagesschau. „Die EU-Kommission hat gestern in einer Nacht- und Nebelaktion einen Schritt in Richtung Greenwashing von Atomkraft und fossilem Gas gemacht“, kritisierte die österreichische Klimaschutzministerin Leonore Gewessler. Die Grünen-Politikerin drohte mit einer Klage, sollten die beiden Energiequellen in die sogenannte Taxonomie der EU aufgenommen werden:

TAGESSCHAU

Die Süddeutsche Zeitung beschäftigt sich in einer Serie mit den Befürwortern der Nutzung von Kernenergie, die über Veröffentlichungen und Demonstrationen den Ausstieg kritisieren und eine weitere Nutzung fordern. In einer weiteren Folge dieser Serie portraitiert das Blatt den Amerikaner Mark Nelson. Der 32-jährige organisiert „Stand Up for Nuclear“, die nach eigenen Angaben erste und größte internationale Pro-Atomkraft-Bewegung. Die Mitglieder treffen sich zu Demonstrationen vor Atommeilern oder in Hauptstädten weltweit, um gegen Ausstiegspläne zu protestieren. Ein Abschalten der Meiler, so Nelson laut SZ, sei unnötig und gefährde den Klimaschutz:

SÜDDEUTSCHE

Am stillgelegten KKW Obrigheim (Neckar-Odenwald-Kreis) gehen die Rückbauarbeiten laut SWR erfolgreich weiter. Im zurückliegenden Jahr erfolgte demnach unter anderem die Demontage eines Krans im Reaktorgebäude. Das einst älteste deutsche Kernkraftwerk wird seit 2008 rückgebaut. Hauptschauplätze waren seitdem das Maschinenhaus und später dann das eigentliche Reaktorgebäude. Im Maschinenhaus, so der Betreiber EnBW (Energie Baden-Württemberg), seien die Arbeiten inzwischen fast genauso abgeschlossen wie im Reaktorgebäude:

SWR

Auch in den kommenden zwei Jahren werde Deutschland seine Klimaziele verfehlen, sagt der neue Wirtschaftsminister Robert Habeck der WELT. Er rechne zudem damit, dass die Klimapolitik der neuen Regierung zu Frustrationen in Teilen der Bevölkerung führt. Habeck widersprach dabei der Einschätzung, dass es sich beim Atom-Ausstieg um einen Irrtum handele. Ein Politiker, der den Wiederaufbau der Atomenergie fordere, „müsste dann ja auch sagen, das Atommüll-Endlager möchte ich gern in meinem Wahlkreis haben. Sobald das jemand sagt, werde ich mich wieder mit dem Thema befassen.“ Er sehe nicht, dass der Anti-Atom-Konsens in Deutschland aufweiche:

WELT

Auch Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) warnt laut BR vor einer Renaissance der Kernkraft in Europa. Die Diskussion um Atomkraft als „klimafreundliche Energieform“ beunruhige sie. Deutschland würde dagegen zeigen, wie klimaneutrale Energieerzeugung gehe. Es sei „abstrus, wie viele ungedeckte Versprechungen aktuell zu möglichen neuen Reaktortypen zirkulieren“, sagte die Grünen-Politikerin den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die EU diskutiert derweil die Einstufung der Kernkraft als klimafreundliche Energieform.
Die Einstufung ist Teil der von der Kommission geplanten neuen Taxonomie für nachhaltige Energieformen, bei der es auch um die mögliche Bewertung von Gas als nachhaltiger Übergangstechnologie gehe:

BR